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Diplomprüfung im Fach Entscheidungslehre Frühjahr 2001
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Diplomprüfung im Fach Entscheidungslehre
Frühjahr 2001
Studiengang: Betriebswirtschaftslehre
Prof. Dr. Rüdiger von Nitzsch
Name: ________________________________________
Matr. Nr.: ___________
Die folgenden Prüfungsteile sind obligatorisch zu bearbeiten. Das jeweils angegebene Minu-
tenkontingent entspricht einem für die Bewertung maßgeblichen Punktekontingent. Es sind
nur Taschenrechner erlaubt, die nicht programmierbar sind und keinen Textspeicher haben.
Aufgabe 1
(15 Minuten)
Kahneman und Tversky haben 1973 folgendes Experiment an einer Gruppe von Probanden
durchgeführt:
Stellen Sie sich vor, Sie sind Abteilungsleiter in einer Werbeagentur. In Ih-
rer Abteilung arbeiten 10 Personen. Was schätzen Sie, wie viele verschie-
dene Teams aus 2 Personen können Sie in Ihrer Abteilung bilden? Wie
viele verschiedene Teams aus 8 Personen können Sie bilden?
Nach den Ergebnissen von Kahneman und Tversky wird die Anzahl möglicher 2-Personen-
Teams im Durchschnitt auf etwa 70 geschätzt, die Anzahl möglicher 8-Personen-Teams auf
etwa 20. Tatsächlich sind aber beide Anzahlen gleich (nämlich 45).
Erklären Sie den systematischen Schätzfehler der Probanden.
Aufgabe 2
(15 Minuten)
In empirischen Untersuchungen hat sich gezeigt, daß Finanzanalysten, die zuvor eine Aktie
zum Kauf empfohlen haben, bei schlechter Entwicklung des Aktienkurses oft zu spät ihre
Empfehlung in Verkaufen ändern. Welche psychologischen Erklärungen gibt es dafür?
Aufgabe 3
(10 Minuten)
Erläutern Sie, wie man einen Entscheider manipulieren kann, der dem Reflection-Effekt
unterliegt.

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Aufgabe 4
(15 Minuten)
In der Vorlesung wurde das Modell der additiven Wertfunktion vorgestellt. Nennen und
erläutern Sie die Bedingungen, die erfüllt sein müssen, damit dieses Modell auf eine Ent-
scheidungssituation anwendbar ist.
Aufgabe 5
(15 Minuten)
Erklären Sie den Unterschied zwischen der Risikoeinstellung im üblichen und im engeren
Sinne. Gehen Sie in Ihrer Antwort insbesondere auf Unterschiede in der Ermittlung und der
Interpretation ein.
Aufgabe 6
(20 Minuten)
Ein Investor muß zwischen drei Projekten entscheiden, in die er investieren kann. Er be-
zeichnet sich als risikoavers im üblichen Sinne und gibt an, daß er erst am Ende der Pro-
jektlaufzeit konsumieren möchte. Ihn interessieren folglich nur die Endwerte der Projekte.
Alle Projekte sind jedoch mit Unsicherheiten verknüpft. Die folgenden Tabellen geben die
möglichen Endwerte der einzelnen Projekte und deren Wahrscheinlichkeiten an.
Projekt A:
Wahrscheinlich-
keit
0,1
0,25
0,3
0,35
Endwert
-100
-20
60
370
Projekt B:
Wahrscheinlich-
keit
0,1
0,25
0,3
0,35
Endwert
-100
-50
50
370
Projekt C:
Wahrscheinlich-
keit
0,3
0,5
0,1
0,1
Endwert
-100
-20
60
370
Zeichnen Sie die Risikoprofile der drei Projekte. Welche Dominanzaussagen können Sie
treffen?

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Lösung zu Aufgabe 1:
Nach K
AHNEMANN
& T
VERSKY
(1973) kommt die Illusion, daß sich z.B. mehr 2-Personen-
Teams bilden lassen aufgrund der kognitiven Verfügbarkeit von Einzelfällen, hier also von
Beispielen entsprechender Teams, zustande. In diesem Fall können die Einzelfälle nicht aus
dem Gedächtnis abgerufen, sondern müssen mental konstruiert werden. 2-Personen-
Teams sind leichter vorstellbar und kognitiv disjunkter als 8-Personen-Teams. Aus 10 Per-
sonen lassen sich direkt 5 überschneidungsfreie 2-Personen-Teams bilden. Die Leichtigkeit
mit der die Teams mental konstruiert werden können (ease of construction), dient den Pro-
banden als Indikator für die Anzahl möglicher Kombinationen. Die höhere Vorstellbarkeit
von 2-Personen-Teams führt zu einer höheren Anschaulichkeit und damit zu einer höheren
Verfügbarkeit.
Lösung zu Aufgabe 2:
Die Weigerung eines Analysten, seine Einschätzung einer Aktie gegenüber kann motivatio-
nal erklärt werden.
Einerseits kann man mit der Dissonanztheorie argumentieren. Diese besagt, daß Menschen
versuchen, ihr Kognitionensystem dissonanzfrei zu gestalten. Dissonanzen treten auf, wenn
sich Handlungs- und Erkenntnisentscheidungen als falsch herausstellen. Die Beurteilung
eines Analysten, eine Aktie zum Kauf zu empfehlen, stellt eine solche Handlungsentschei-
dung dar. Die Stärke der empfundenen Dissonanz hängt vom Commitment des Entschei-
ders ab.
Das Commitment wird von 4 Faktoren bestimmt:
1. Die Entscheidung muß frei getroffen worden sein. Bei einer Kaufempfehlung eines
Analysten ist davon auszugehen, daß er die Entscheidung frei und eigenverantwort-
lich getroffen hat.
2. Die Entscheidung ist mit Verantwortung sich selbst oder anderen gegenüber ver-
bunden. Eine Kaufempfehlung wird veröffentlicht, um Investoren eine Handlungs-
empfehlung zu bieten. Diese Empfehlung ist also mit hoher Verantwortung anderen
gegenüber verknüpft.
3. Die Entscheidung ist mit realen und/oder kognitiven Kosten verknüpft. Um eine Aktie
zu bewerten, muß ein Analyst üblicherweise aufwendige Recherchenarbeit betrei-
ben. Auch wenn davon auszugehen ist, daß er die realen Kosten hierfür nicht zu tra-
gen hat, so hat er sich doch lange mit der Aktie beschäftigt und somit hohe kognitive

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Kosten auf sich genommen.
4. Die Entscheidung stellt eine Normabweichung dar. Eine Kaufempfehlung auszuspre-
chen, stellt für einen Finanzanalysten sicherlich keine Normabweichung dar. Das
Commitment eines Analysten wird aber sicherlich noch höher sein, wenn es sich bei
der empfohlenen Aktie um eine wenig beachtete Aktie gehandelt hat oder wenn an-
dere Analysten ein abweichendes Urteil gefällt haben.
An diesen Ausführungen erkennt man, daß der Finanzanalyst an seiner Kaufempfehlung
sehr hängt. Dadurch fällt es ihm schwer, die Dissonanz durch Revidierung der Entscheidung
aufzulösen. Statt dessen wird er eher versuchen, auf anderem Weg die Dissonanz zu ver-
kleinern, z.B. durch selektive Wahrnehmung oder durch selektives Entscheiden.
Einen weiteren Erklärungsansatz bietet die Kontrollillusion. Finanzanalysten werden von den
Kapitalmarktteilnehmern als Experten anerkannt und zeichnen sich durch hohe Kompetenz
aus. Das kann zu einer übersteigerten Einschätzung des eigenen Urteilsvermögens führen.
Wenn ein Analyst einer solchen Kontrollillusion unterliegt, wird er auch trotz negativer Infor-
mationen an seiner ursprünglichen Meinung festhalten und etwaige Kurseinbrüche als kurz-
fristig und unbedeutend bewerten.
Lösung zu Aufgabe 3:
Mit der S-förmigen Gestalt der Wertfunktion der Prospect Theory wird eine im üblichen
Sinne risikoscheue Einstellung eines Anlegers im Gewinnbereich widergespiegelt. Diese
Situation dreht sich im Verlustbereich genau um. Die S-förmige Gestalt führt demnach im
Verlustbereich zu einer Tendenz risikofreudig zu entscheiden. Diesen Effekt, daß sich die
Risikoeinstellung im Übergang von Gewinnen zu Verlusten genau umkehrt, bezeichnet man
als Reflection-Effekt.
Der Reflection-Effekt führt zu einem interessanten Verhaltensmuster, wenn es durch eine
bestimmte Problempräsentation gelingt, den Bezugspunkt zu manipulieren. Man spricht in
diesem Zusammenhang vom Framing-Effekt. Allgemein ist ein Framing-Effekt gegeben,
wenn durch unterschiedliche Präsentationen einer im Grunde eindeutigen Entscheidungssi-
tuation unterschiedliche Entscheidungen hervorgerufen werden. Hierzu ein Beispiel: Das
Risiko einer Operation kann dadurch angegeben werden, daß 1% aller Patienten sterben
oder daß 99% aller Patienten gesund bleiben. Wenn man sich in Abhängigkeit von der
Darstellung anders verhält (z.B. eine Operation bei der ersten Variante ablehnt, bei der
zweiten aber durchführen läßt), liegt ein Framing-Effekt vor.

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Lösung zu Aufgabe 4:
Die Voraussetzungen für die Gültigkeit des additiven und multiplikativen Modells lassen sich
übersichtlich zunächst wie folgt darstellen:
Unabhängigkeit der kardina-
len
Wertfunktion v
r
(einfache
Präferenzunabhängigkeit)
+
Unabhängigkeit der Indiffe-
renzkurven (wechselseitige
Präferenzabhängigkeit
+
Unabhängigkeit der absoluten
Präferenzunterschiede (Diffe-
renzunabhängigkeit
Die Unabhängigkeit der kardinalen Wertfunktion v
r
für jedes Ziel ist eine notwendige Vor-
aussetzung für die Anwendung des additiven und multiplikativen Modells (einfache Präfe-
renzunabhängigkeit). Diese Unabhängigkeit ist gegeben, wenn die Voraussetzungen für die
Existenz der Wertfunktionen v
r
unabhängig von den anderen Zielen erfüllt sind, d.h. wenn es
eine vollständige und transitive Ordnung der Präferenzunterschiede unabhängig von den
Ausprägungen in den anderen Zielen gibt.
Existieren Wertfunktionen für jedes Ziel unabhängig von den anderen Zielen, ist noch nicht
garantiert, daß das multiplikative, geschweige denn das additive Modell, ein Spezialfall des
multiplikativen Modells, anwendbar ist. Hierzu muß noch eine weitere Bedingung erfüllt sein,
und zwar die Unabhängigkeit der Indifferenzkurven von den Ausprägungen in anderen Zie-
len, die auch wechselseitige Präferenzunabhängigkeit genannt werden kann. Hierunter
versteht man, daß die Lage einer Indifferenzkurve unabhängig von etwaigen dritten Zielen
sein muß, d.h. was als gleichwertig beurteilt wurde, darf sich nicht ändern, wenn ncoh ande-
re Ziele ins Spiel kommen.
An dieser Stelle kann angemerkt werden, daß bei nur zwei Zielen die Bedingung der wech-
selseitigen Präferenzunabhängigkeit immer erfüllt ist. Dies ist trivial, denn von welchen
=> multiplikatives Modell
=> additives Modell

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anderen Zielen sollten in einem Beispiel mit zwei Zielen die Indifferenzkurven Zielen zwi-
schen diesen Zielen abhängen?
Wenn die ersten beiden Bedingungen erfüllt sind, d.h. wenn die Wertfunktionen
v
r
für jedes
Ziel unabhängig von den jeweils anderen Zielen existieren und die Indifferenzkurven für
beliebige Zielpaare unabhängig von den jeweils anderen Zielen sind, dann kann das mul-
tiplikative Modell angewendet werden.
Das additive Modell ist ein Spezialfall des multiplikativen Modells mit w = 0; also ein mul-
tipliktives Modell ohne Interaktion (w gibt die Bewertung mit dem multiplikativen Modell an).
Die zusätzliche Bedingung, die w = 0 garantiert, ist die Differenzunabhängigkeit für mindes-
tens ein Ziel. Differenzunabhängigkeit bedeutet, daß der absolute Präferenzunterschied
zwischen zwei Ausprägungen in einem Ziel nicht von den anderen Zielen abhängen darf.
Lösung zu Aufgabe 5:
Risikoeinstellung im engeren Sinne:
Die Ermittlung der Risikoeinstellung im engeren Sinne erfolgt über einen Vergleich von
Nutzen- und Wertfunktion.
Entscheider, die sichere und unsichere Projekte als gleich gut bewerten, für die also gilt:
u(x) = v(x), stehen der Unsicherheit neutral gegenüber, sie sind also risikoneutral.
Risikoscheue Entscheider gestehen einem Betrag unter Unsicherheit einen höheren Nutzen
zu als demselben Betrag unter Sicherheit. Für sie gilt dementsprechend: u(x) > v(x).
Risikofreudige Entscheider erkennt man daran, daß sie einem Betrag unter Unsicherheit
einen niedrigeren Nutzen zuordnen als demselben Betrag unter Sicherheit, daher gilt: u(x) <
v(x).
Risikoeinstellung im üblichen Sinne:
Die eben dargestellte Definition einer Risikoeinstellung ist nicht die der meisten Lehrbü-
chern. Meist wird die Risikoeinstellung über die sogenannte Risikoprämie einer Lotterie
definiert.
Die Risikoprämie einer Lotterie ist wie folgt definiert:
Anschaulich läßt sich die Risikoprämie auch als Preis für die Übernahme eines bestimmten
Risikos interpretieren.
Auf Basis der Risikoprämie wird (bei steigenden Nutzenfunktionen) üblicherweise folgende
Definition der drei Risikoeinstellungen abgeleitet:
falls RP = 0
Entscheider ist risikoneutral,

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falls RP > 0
Entscheider ist risikoscheu,
falls RP < 0
Entscheider ist risikofreudig.
Der Vorteil dieser Definition liegt darin, daß aus der Risikoeinstellung unmittelbar, d.h. ohne
Berücksichtigung der Wertfunktion, auf die Gestalt der Nutzfunktion geschlossen werden
kann. Ein im üblichen Sinne risikoneutraler Entscheider weist eine lineare Nutzenfunktion
auf, ein risikoscheuer eine konkave und ein risikofreudiger eine konvexe.
Jedoch gilt bei fallenden Nutzenfunktionen, daß eine positive Risikoprämie eine Risikofreu-
de anzeigt und entsprechend eine negative Risikoprämie eine Risikoscheu. Man muß also
vorsichtig in der Angabe von Risikoeinstellungen bei fallenden Nutzenfunktionen sein (RP =
0
risikoneutral, RP < 0
risikoscheu, RP > 0
risikofreudig).
Der Nachteil dieser Risikoeinstellung im üblichen Sinne ist der, daß die Risikoeinstellung
streng genommen nichts über die tatsächlichen Risikopräferenzen aussagt. Es wird nicht
transparent, ob sich z.B. eine positive Risikoprämie deshalb ergibt, weil der Entscheider
tatsächlich risikoscheu im engeren Sinne) ist, oder ob ein abnehmender Grenznutzen vor-
liegt, der schon für eine konkave Gestalt Wertfunktion sorgt. So ist es möglich, daß der
Entscheider risikoscheu im üblichen Sinne und risikofreudig im engeren Sinne ist.
Die Risikoeinstellung im engeren Sinne ermöglicht eine differenzierte Betrachtung der ei-
gentlichen Risikoeinstellung. Da der abnehmende Grenznutzen bereits in der Wertfunktion
zum Ausdruck kommt, muß eine weitere Krümmung der Nutzenfunktion eindeutig mit der
Risikoeinstellung erklärt werden. Jedoch müssen zur Ermittlung dieser Risikoeinstellung
sowohl Nutzen- als auch Wertfunktion bekannt sein.
Lösung zu Aufgabe 6:
0
0,2
0,4
0,6
0,8
1
-200
0
200
400
Endwert
Risikoprofil
Projekt A
Projekt B
Projekt C

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Da die Nutzenfunktion monoton und konkav ist, kann mit Hilfe des Konzepts der stochasti-
schen Dominanz ersten Grades überprüft werden, ob eine Alternative eine andere domi-
niert. Stochastische Dominanz ersten Grades von a über b ist gegeben, wenn für jede Aus-
prägung der Zielvariablen die Wahrscheinlichkeit, diese zu überschreiten, bei a mindestens
so hoch ist, wie bei b.
Da hier die Wahrscheinlichkeiten bei Projekt A immer mindestens so hoch sind wie bei
Projekt B und Projekt C, dominiert Projekt A sowohl Projekt B als auch Projekt C sto-
chastisch ersten Grades.
Stochastische Dominanz zweiten Grades einer Alternative a gegenüber einer anderen Al-
ternative b liegt vor, wenn für jede Ausprägung x die Fläche unter dem Risikoprofil bis zu
dieser Ausprägung bei a mindestens so groß ist wie bei b.
Da in diesem Fall für jede Ausprägung die Fläche unter dem Risikoprofil von Projekt B grö-
ßer ist als die von Projekt C, dominiert Projekt B Projekt C stochastisch zweiten Grades.